3 Fehlannahmen

Der Design Thinking und Lean UX Approach ist inzwischen digitalen Produkt-Teams auf der ganzen Welt in Fleisch und Blut übergangen. So konnten diese Methoden auch über die Tech-Branche hinaus Aufmerksamkeit erlangt haben. Sie jedoch schlicht nach Lehrbuch auszuführen, entspricht noch nicht dem eigentliche Mehrwert, den sie stiften können. Erst wenn du und dein Team die Grundideen dahinter verinnerlicht haben, seid ihr im Stande alles aus den Methoden herauszuholen. Darum macht euch die im Folgenden vorgestellten drei Fehlannahmen bewusst, die ihr mit unseren Tipps umgehen könnt.

Diese Fehlannahmen haben viel mit dem Effekt der kognitiven Verzerrung, zu Englisch unconscious bias, zu tun. Du kennst ihn beispielsweise in Form von Schubladen-Denken. Diesen Effekt wollen wir zu Beginn näher betrachten und verstehen.

Deine Wahrnehmung neigt dazu auf Basis vorheriger Erfahrungen voreilige Schlüsse zu ziehen. Das Gehirn nutzt diesen Trick, um Informationen in einer Situation schneller zu verarbeitet. Dafür sucht es nach Übereinstimmungen in vergangenen Situationen und projeziert die daraus gemachten Erfahrungen auf die neue Situation. Die Einschätzung dieser neuen Situation ist nun durch die eigene Erfahrung verzerrt und basiert weniger auf realen Aspekten. Das Problem dabei besteht in der Einzigartigkeit jeder Situation. Diese bringen immer wieder neue Informationen mit sich, die beachtet werden müssen und uns zwingen, das eigene Schubladen-Denken zu überwinden.

Im Entwicklungsprozess eines Produktes stellt die verzerrte Wahrnehmung ein Hindernis dar. Selbst in professionellen Teams kommt es zu Fehlannahmen aufgrund der eigenen unconsious bias. Deshalb suchen sie den Kontakt zu Nutzern und versuchen durch einen unverstellten Blick von außen auf neue Aspekte hingewiesen zu werden. Dadurch kann ein Produkt in die entscheidende Richtung gelenkt werden.

Da wir uns nun den unconcious bias-Effekt ins Bewusstsein gerufen haben, sehen wir uns an, welche die größsten Fehlannahmen ausmachen. Wenn wir diese Fehlannahmen umgehen, haben wir gute Chance offen für eine innovative und erfolgreiche Produktentwicklung zu sein.

FEHLANNAHME NUMMER 1
Du setzt auf Altbewährtes, 
weil das in der Vergangenheit 
auch immer funktioniert hat.

In Ingenieurskreisen hört man oft das Sprichwort „Never change a running system.“ Das mag zwar in manchen Situationen seine Berechtigung haben, doch es hindert Unternehmen vorallem daran neue Ansätze zu verfolgen. Gerade während der Covid19-Pandemie setzen deshalb einige Unternehmen verzweifelt auf Strategien, die sie auch in der Vergangenheit zum Erfolg geführt hatten. Das hat zur Folge, dass viele Probleme während der seit August schwelenden zweiten Welle weiterhin ungelöst bleiben.

In Deutschland haben wir ein besonderes Verhältnis zur Fehlerkultur. Viele Unternehmen streben immer noch nach dem Image des wirtschaftlichen Musterschülers und erlauben sich und ihren Teams keinerlei Fehler. Wozu diese rückwärtsgewandte Haltung führen kann, lässt sich an einer kürzlich erschienenen Studie der Allbright-Stiftung erkennen. Darin geht es um Reaktionen in der Wirtschaft auf die aktuelle Covid19-Pandemie. In anderen Länder hat die Wirtschaft erkannt, dass der Moment für grundlegende Veränderungen gekommen ist und hat dafür gesorgt, dass ihre Vorstände diverser besetzt werden. Währenddessen aber haben die deutschen DAX-Konzerne das Ruder herumgerissen und sämtliche Errungenschaften der vergangenen Jahre gekippt: Sie verkleinerten ihre Vorstände und ersetzten sämtliche Frauen durch Männer. Der Frauenanteil in deutschen DAX-Vorständen fiel somit auf den skandalösen Stand vor 2017 zurück.

Den Fehler kennen wir auch in der Produktentwicklung: Mit dem Erfolg kommt schnell die Angst, auf unbekannte Situationen zu reagieren und Neues auszuprobieren. Doch wenn wir wirklich so denken und unserer Neugierde keinen Raum geben würden, säßen wir heute noch in dunklen Höhlen.

Die Herausforderungen der Pandemie sind eine gute Gelegenheit sich für digitale Modelle zu öffnen und diese im eigenen Unternehmen zu etablieren. Denn wir alle sind in von unerwarteten Veränderungen und Herausforderungen betroffen. Wir alle wissen, wie holprig die erzwungenen Gehversuche ausfallen können und dennoch sind wir überrascht, wie schnell wir uns an die neue Situationen anpassen können. Durch die eigene Betroffenheit haben Kunden eine ungewöhnlich große Nachsichtigkeit entwickelt, wenn es um anfängliche Fehler in der Transformation zur Digitalisierung geht. Aber sei dir bewusst, dass die Nachsicht allmählich vergeht, während innovative Unternehmen die Gelegenheit nutzen und neue Maßstäbe setzen.

Deshalb solltest du keine Zeit verlieren und die Gunst der Stunde nutzen. Frage dich und dein Team jeden Tag: „Was könnt ihr verbessern? Worüber wisst ihr noch nicht genug? Was lauten eure Fehlannahmen? Wo lassen sich neue Zusammenhänge finden?“

Es gibt Unternehmer:innen, die genau das verstanden haben – dass neue Situation auch neue Lösungen erfordert. Ein schönes Beispiel ist das Geschäftsmodell des deutschen Sterne-Kochs Tim Raue. Hier zu Lande kennt ihn die breite Masse durch seine Kochshows. Nebenbei betreibt er mehrere Restaurants, die durch die Bestimmungen während des ersten Lockdowns im Frühjahr schließen mussten. Doch Tim Raue ließ sich dadurch nicht vom Arbeiten abhalten und sattelte um. Inzwischen verschickt sein Team deutschlandweit Essens-Boxen zu Kunden im Homeoffice. Während seine Restaurants nur eine begrenzte Anzahl von Gästen zuließen, kann sein Team nun deutschlandweit Kunden beliefern.

Success is not final; failure is not fatal; it is the courage to continue that counts.
— Winston Churchill.

FEHLANNAHME NUMMER 2
Prioritäten sind an Deadlines gebunden.

„Wenn ich nur die Zeit dafür hätte!“ Wir alle kennen die Ausreden zu angeblich wichtigeren Vorhaben. Doch was ist wichtiger, als die eigenen Träume zu verwirklichen?

Gerade die wirklich wichtigen Aufgaben verlangen einen langen Atem. Sie kennen keine Deadline und lassen sich manchmal zu leicht auf die lange Bank schieben. Dieser Effekt wird auch Time Horizont genannt. Das können wichtige Dinge sein, wie die Oma anzurufen. Im Vergleich dazu hat das Bezahlen einer Rechnung eine gewisse Dringlichkeit, weil eine eindeutige Deadline an diese Aufgabe geknüpft ist. Doch irgendwann könnte es zu spät sein, um die Oma anzurufen.

So verhält es sich auch mit der Analyse der Nutzer-Bedürfnisse und dem Reflektieren von internen Hypothesen. Jedes Team ist sich deren Dringlichkeit bewusst. Doch ohne fixe Deadline, neigt es dazu diese Aufgabe vor sich herzuschieben. Besonders in den Anfangsphasen der Produktentwicklung, der product discovery, geht es vorwiegend darum interne Hypothesen über potenzielle Nutzer zu untersuchen. In meiner Arbeit habe ich allerdings oft gesehen, dass Meetings, Präsentationen und ähnliche Termine, den Nutzer-Interviews oder Experimenten vorgezogen wurden. Schlimmstenfalls wurden Hypothesen zu einem gewissen Zeitpunkt als gegeben hingenommen, weil die Zeit für eine Validierung fehlte. Dies ist der Point of no Return; Der Punkt, an dem die unconscious bias, dazu führt, dass Produktideen nur den Teams, aber nicht den Nutzern gerecht werden. Der Moment, als das Feedback von Nutzern zu neuen Erkenntnissen hätte führen können, verstrich ohne, dass das Team es bemerkt hätte.

Um dieser Alltagsfalle zu entkommen, hat die Product-Coachin Teresa Torres ihr Framework Continuous Discovery entwickelt. Dort erklärt sie en detail, wie ein Team beispielsweise durch wöchentliche Interviews die Verbindung zu seinen Nutzer aufrecht erhält und die so wichtige guidance erhält. Jede Woche können Hypothesen aufgestellt, hinterfragt, untersucht und durch neues Wissen ersetzt werden.

FEHLANNAHME NUMMER 3
Fehler stehen für Versagen.

Ist dir diese Auffassung auch schonmal begegnet? Sie manifestiert sich in der Produktentwicklung meist in der Strategie, dass sich ein Team früh festlegen und am einmalig erstellten Plan festzuhalten muss, um den Fokus und somit den Erfolg des Produktes zu garantieren. Doch wie du schon raushörst, steckt in dieser Methode viel Zugzwang und der strikte Ablauf verhindert es, Produktanpassungen nachzugehen.

Regelmäßig höre ich in Kundengesprächen Sätze wie „Das geht nicht, weil …“ In einigen Fällen stellt sich dann heraus, dass der Ansatz gar nicht getestet wurde und hier nur auf Annahmen basierend argumentiert wird. Die Ablehnung basiert auf einer reinen Vermutung und auf der unconscious bias, die ihren Ursprung in der Vergangenheit hat.

Dieses Verhalten soll uns davor bewahren, ein negatives Feedback zu erhalten. Doch gerade durch Produkttests, deren Scheitern wir vermuten, können wir am meisten von unseren Kunden lernen. Dabei können selbst jene Tests, die entgegen unserer Erwartung verliefen, uns auf ein unerfülltes Nutzer-Bedürfnis aufmerksam machen. Der Mehrwert besteht darin, im Anschluss ein Produktkonzept noch stabiler auszurichten. Die Fehler, die sich dabei entpuppen, sind auch dafür da, Lösungsmöglichkeiten aussortieren und Prioritäten ggf. neu zu definiert. In Silicon Valley gibt es deshalb eine Fehlerkultur, bei der die größten Fehler – anstatt sie beschämt in der Schublade zu begraben – gefeiert und gehuldigt werden.

Einen ähnlichen Umgang lässt sich bei Startups beobachten. Deren schneller Wachstum ist mit strukturellen Freiheiten verbunden, die es erlauben Fehler zu machen. Eine schöne Anlehnung, ist das berühmte Zitat von Thomas A. Edison: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“

Im Design Thinking Prozess gibt es dafür sogar eine eigens entwickelte Methode: Die dark horse method. Es geht darum, auch die verrücktesten Ideen mit Nutzern zu testen, um an mehr Informationen und Anregungen zu gelangen. Hier hat man erkannt, wie wichtig es ist, Ideen nicht zu früh auszusortieren. Stattdessen lohnt es sich einfach so früh wie möglich zu testen. Denn je früher im Entwicklungsprozess eine Idee mit den Nutzern getestet werden kann, umso mehr Zeit und Kosten können gespart werden. Doch das wichtigste in diesem Prozess ist – wie so oft im Leben – die anschließende Phase des Reflektierens! „Was haben wir gelernt? Was wollen wir anders machen? Was dachten wir, das sinnvoll wäre und sich am Ende als nutzlos herausgestellt hat?“ Solche Fragen sind elementarer Bestanteil in der Entwicklung eines Produktes.

Also: Fail early, fail Small. Minimiere frühzeitig das Risiko und schließe keine Möglichkeiten aufgrund von Annahmen vorzeitig aus.

CONCLUSION

An der Digital-Branche mag ich die Möglichkeit eine Idee ausprobieren zu können.

Du kannst spontan einen Test machen und potenzielle Nutzer einfach anschreiben. Du kannst sie sogar über Social Media-Plattformen in deine Entwicklungsprozesse einbinden und somit direkt nach ihren Bedürfnissen fragen. Schon mit wenig Aufwand kannst du so viel herausfinden!

Früher dachte ich, du „darfst“ erst mit einem fertigen Produkt auf die Kunden zugehen. Du „darfst“ nur ein fertiges Produkt vertreiben. Aber dem ist nicht so! Deine Nutzer freuen sich immer wieder aufs neue, wenn sie ihr Feedback geben können und man für sie persönlich Änderungen vornimmt. So lässt sich von Beginn an viel von ihnen lernen und unendlich Zeit, Energie und Geld einsparen. Außerdem knüpfst du Kontakte und hast eine spannende Begegnung mit einem Menschen, der dich auf deinem Weg weiterbringt. Und wer kann davon schon genug haben?

Also trau dich raus und geh auf deine Nutzer zu, lerne sie kennen und bleibe offen für neue Erkenntnisse. Lass dich dabei nicht durch deine unconcious bias täuschen, sondern bewahre dir den Geist eines Kindes, das durch seine Neugier die Welt immer wieder neu entdecken will.


Lautstark denken

Mich hatte eine Freundin mal vor ein paar Tagen gefragt, warum sie das Wochenende immer zum Erholen braucht, während andere in der Zeit mit den Unternehmungen erst so richtig anfangen. Meine Antwort war, dass wir beide (ich schließe mich da ein) sehr nachdenkliche Menschen sind und die Eindrücke der Woche vermutlich erst verarbeiten müssen, ehe wir Neue sammeln.

Und in diesem Gedankengang fand ich es genauso schade, dass die Eindrücke dann ins Leere gehen. Wie schade! Ich liebe es zu diskutieren und mich in einem hitzigen Gespräch auszutauschen, neue Ansichten zu erkennen und natürlich auch weiter zu geben.

Themen wie Design, Produktentwicklung (das Erschaffen von etwas Neuem), Technologien, Digitalisierung, Arbeits-Transformation, New Work, Feminismus, Entrepreneurship, Persönlichkeitsentwicklung und meine damit verbundene Selbständigkeit. All das sind Themen, die ich dir gerne mit dir teilen möchte. 

Das ändert sich nun hiermit: Herzlich Willkommen in einem Bereich, in welchem durch das Wort wir beide in Austausch treten können. Ich freue mich auch dich – und natürlich bin ich nicht alleine, denn meine kleine Mopsfreundin Queefie ist oft auch mit von der Partie.